Von der Zahnfee

Die ersten Zähnchen kamen ganz heimlich. Ohne viel Geschrei lugten eines Tages zwei helle Pünktchen, so groß wie der Kopf einer Stecknadel, am unteren Zahnfleisch hervor. Da war Sohni acht Monate alt. Wir hatten als 1.Mal-Eltern die Anzeichen – wie das Hineinschieben der ganzen Faust in den Mund oder das ständige Anknabbern seiner Quietsche-Giraffe – des Zähnekriegens gar nicht bemerkt. Umso glücklicher war ich, als das Durchbrechen der unteren Schneidezähne dann weiterhin harmlos verlief und Sohni eine Woche später mit seinen ersten Beißerchen strahlen konnte.

Gar nicht so schlimm, dachte ich da noch. Denn in meinem Hinterkopf tummelten sich die grausamen Schauergeschichten über das Übel “Zahnen” von armen betroffenen Kindern und Eltern, die noch ärmer dran waren. Und ich war ganz froh darüber, dass bei uns alles problemlos über die Bühne gegangen war. Kein Fieber, kein Durchfall, kein Wimmern. Glück gehabt!

Und würde ich heute nicht darüber schreiben, hätte uns das Schreckgespenst nicht aufgesucht. Der Chronologie nach kommen nach den unteren die oberen Zähne. Und seit 10 Tagen schieben sich bei Sohni die oberen mittleren Schneidezähne Millimeter für Millimeter durch sein zartes Baby-Zahnfleisch. Was für Brocken! Klar, dass das weh tut. Sohni leidet und ich leide mit ihm.

Zähne kriegen bedeutet für Babys Stress. Ihre Immunabwehr ist geschwächt. Sie sind anfälliger für Infektionen. Sohni hat Schnupfen. Auf sein Gemüt schlägt sich ebenfalls merklich aus. Er ist unausgeglichen und zeigt null Toleranz gegenüber räumlicher Distanz. Entferne ich mich nur ein bisschen über die von ihm gewählte Schmerzensgrenze hinaus, die gerade mal 1 Meter betrifft, gibts als Strafe Dauerbeschallung. Und andere Menschen mag er plötzlich auch nicht mehr.

Eine Woche nachdem der ganze Spuk angefangen hat, liegen meine Nerven blank. Ich fühle mich reif für die Insel. Trotzdem: Zähne zusammenbeißen und durch. Irgendwann muss es ja besser werden. Dass Mütter in ihrem schwächsten Moment wie ein Stehauf-Mädchen immer wieder aufstehen können und neue Kräfte mobilisieren, verdanken sie wohl der stärksten Kraft des Universums: der Mutterliebe.

Für wen sonst, würden wir wohl die nächtlichen Strapazen hinnehmen und schlaflos mit einem Auge halb offen das zahnende Baby hin- und herschaukeln, es trösten? Für niemanden. Und weil wir gerade darüber reden. Über das leidige Thema Schlafen. Ich kann es nicht mehr hören. Das Schreckgespenst “Zahnen” hat die ersten Ansätze eines sich langsam abzeichnenden Schlafverhaltens von Sohni völlig ruiniert. Wir stehen wieder bei Stunde Null da. Newborn-Stadium. Es wird getragen, gesungen. die Brust ausgepackt, getragen, gesungen, die Brust ausgepackt, getragen, gesungen …Bis es vorbei ist. Nach 8 Tagen erste Besserung in Sicht. Sohnis Stimmung ist wieder fröhlicher. Und wenn er jetzt lacht, schimmern vier weiße Beißerchen aus seinem Mund.

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